Jeremy

Das Ziel: Ein Neu­anfang — Jeremy sucht Sta­bi­lität und Perspektive

Ein Diens­tag­morgen in Köln. Jeremy ist 20 Jahre alt und hat in seinem bewegten Leben bereits viel erlebt. Seine Geschichte ist geprägt von fami­liären Kon­flikten, Umzügen und der Suche nach Sta­bi­lität. „Ich bin in Hamburg geboren, habe aber in den letzten Jahren in ver­schie­denen Kölner Stadt­teilen gelebt. Familiär hat es einfach nicht geklappt“, beginnt er.

Hin und her – zwi­schen Ver­ant­wortung und Sehnsucht

Jeremy spricht über die schwie­rigen Ver­hält­nisse in seiner Familie und die Ver­ant­wortung, die er schon früh über­nommen hat. „Ich habe viel mit meinen Geschwistern gemacht. Zum Arzt gehen, mich um sie kümmern – ich wollte sie immer schützen.“ Als ältester Bruder hat er ver­sucht, den Streit und die Pro­bleme von ihnen fern­zu­halten. „Aber irgendwann ging es nicht mehr.” Er beschreibt, wie er bereits mit zehn Jahren das erste Mal sein elter­liches Zuhause ver­lassen hat. “Es muss schon Gründe haben, wenn ein kleiner Junge meint, nicht mehr nach Hause zu wollen.” Es ging dann von zuhause in die Auf­nah­me­gruppe einer Ein­richtung, später weiter in eine feste Wohn­gruppe. Daran schloss sich wieder eine Zeit zuhause an. Bedingt durch instabile Ver­hält­nisse funk­tio­nierte das nicht lange gut. Es ging für den Jugend­lichen zurück in die Erzie­hungs­hilfe. Wieder zurück nach Hause. Viel Hin und Her. “Meine Mutter hat mich immer wieder aus den Ein­rich­tungen zurück­geholt, aber es hat sich nie etwas geändert. Ich habe so oft gehofft, dass es besser wird, aber vergeblich.“

Die Sehn­sucht nach seiner Familie bleibt trotzdem. „Ich ver­misse meine Geschwister. Wenn meine kleine Schwester anruft und weint, zieht mir das den Boden unter den Füßen weg. Sie fragt, wann ich wieder nach Hause komme, aber ich weiß, dass ich das nicht kann.“

Erste Schritte in die Eigenständigkeit

Auf die Frage, wie er zum Don Bosco Club kam, nennt Jeremy einen zen­tralen Anker­punkt: die „Boje“, ein Streetwork-​Projekt in Köln. „Am Haupt­bahnhof gibt es diesen Bus mit Sozialarbeiter*innen, die einem helfen, wenn man zwi­schen 18 und 27 Jahre alt ist. Die haben mich hierhin ver­mittelt.“ Die Boje war für Jeremy der Wen­de­punkt, nachdem er keine feste Anlauf­stelle mehr hatte und sich in Not­un­ter­künften durch­schlagen musste. „Ich wollte nicht auf der Straße enden, also habe ich alles ver­sucht, um eine Unter­kunft zu finden“, erzählt er.

Ein Alltag voller Herausforderungen

Der Alltag im Don Bosco Club mit dem Angebot einer Not­schlaf­stelle für Jugend­liche ist für Jeremy geprägt von Plänen und Orga­ni­sation. „Morgens früh­stücken wir zusammen. Danach gehe ich los, um Dinge zu klären: Arbeit suchen, viel­leicht wieder zur Schule gehen oder eine lang­fristige Unter­kunft finden“, beschreibt er. Seit 2015 lebt der Jugend­liche in Köln. Jetzt ver­sucht er, die Weichen für eine sta­bilere Zukunft zu stellen. Sein Ziel: den Real­schul­ab­schluss nach­holen. Dafür steht er im Aus­tausch mit der Tages- und Abend­schule Köln. „Ich brauche aller­dings erst einen Minijob, um mich dort anmelden zu können. Alles hängt von­ein­ander ab: Schule, Arbeit, Unter­kunft. Es ist wie ein Kreislauf, aus dem man schwer raus­kommt“, sagt er.

Pläne für die Zukunft

Der junge Mann hat klare Vor­stel­lungen, wohin sein Weg führen soll. „Viel­leicht wieder in die Gas­tro­nomie. Im Prak­tikum habe ich das früher gern gemacht. Oder etwas im Hotel­be­reich, im Service“. Doch sein Blick reicht weiter. „Wenn ich die Schule schaffe, könnte ich mir vor­stellen, danach die Fach­ober­schul­reife zu machen und etwas im päd­ago­gi­schen Bereich zu arbeiten. Ich möchte anderen helfen, die Ähn­liches durch­machen wie ich.“

“Die nehmen einen nicht ernst.”

Auf die Frage, ob er sich aus­ge­grenzt oder stig­ma­ti­siert fühlt, ant­wortet Jeremy nach­denklich. „Selten, aber es pas­siert. Bei Behörden zum Bei­spiel, wenn man ohne festen Wohnsitz etwas regeln will. Dann hat man das Gefühl, die nehmen einen nicht ernst. Aber das schlimmste Gefühl ist, wenn die eigene Familie einen aus­grenzt. Das trifft tiefer als alles andere.“

Seine innere Stärke ist beein­dru­ckend, auch wenn er offen zugibt, dass die Ver­gan­genheit Spuren hin­ter­lassen hat. „Früher war ich ein ganz anderer Mensch. Ich war fröh­licher, mehr am Lachen. Heute sehe ich im Spiegel jemanden, der sich ver­loren hat. Aber ich gebe nicht auf. Ich will einen festen Lebens­mit­tel­punkt, auf dem ich auf­bauen kann.“

Jeremys Appell

Zum Ende des Gesprächs zeigt sich Jeremy reflek­tiert. „Man sollte Men­schen nicht vor­schnell beur­teilen. Jeder hat seine Geschichte, und viele brauchen einfach Zeit und Unter­stützung, um wieder auf die Beine zu kommen. Man sieht nicht immer von außen, was in jemandem vorgeht.“

Mit diesen Worten endet das Gespräch. Sein Wunsch nach einer lang­fris­tigen Unter­kunft, einem festen Zuhause und Lebens­mit­tel­punkt, ist nicht nur ein Ziel, sondern ein Symbol für den Kampf um Sta­bi­lität und Würde.



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