Leben ohne Sicherheit: Amys Kampf um eine Zukunft in Deutschland
Amy ist 25 Jahre alt, gebildet, ehrgeizig – und wohnungslos. Vor eineinhalb Jahren floh sie aus England nach Deutschland, um eine destruktive familiäre Situation hinter sich zu lassen und ein neues Leben aufzubauen. Doch seit ihrer Ankunft kämpft sie nicht nur mit der Sprachbarriere, sondern auch mit einem fast undurchdringlichen System aus bürokratischen Hürden und finanziellen Nöten. Während sie schon gut Deutsch spricht, fiel es ihr leichter, in diesem Gespräch ihre Geschichte auf Englisch, ihrer Muttersprache, zu teilen, die ihr bei sensiblen Themen Sicherheit gibt.
„I came to Germany about one and a half years ago because I was in a relationship that my parents didn’t want me to be in and so they kicked me out and disowned me,“ erzählt Amy, die inzwischen in Köln lebt. Die Beziehung, wegen der sie nach Deutschland zog, scheiterte – und hinterließ sie mittellos. „I ended up on the street“, sagt sie. Es war Januar, bitterkalt. Tagsüber suchte sie Schutz in der Straßenbahn, nachts schlief sie in einem Fitnessstudio, bis sie dort entdeckt wurde. „It was really dreadful.“
“I lost so many opportunities.“
Ihr Wunsch, in Deutschland zu studieren, ihre akademische Laufbahn fortzusetzen, scheiterte an den Anforderungen: 12.000 Euro auf einem Sperrkonto. „Without any job or savings, I wasn’t able to apply for a place at university,“ erklärt sie. Ihre Hoffnungen wandten sich einer beruflichen Zukunft zu. Doch auch hier machte ihr die Bürokratie einen Strich durch die Rechnung. Wegen des Brexits benötigt sie für jede Arbeitsstelle eine sogenannte „Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis“. Arbeitgeber*innen müssen begründen, warum sie Amy – und keine Person aus der EU – einstellen möchten. Das Verfahren zieht sich oft monatelang hin, eine Dauer, die der jungen Frau teuer zu stehen kam. Sie verlor mehrere Jobangebote, weil die Betriebe nach der Wartezeit keine offenen Stellen mehr hatten.
„Obviously the waiting has put me in difficult situations and I lost so many opportunities“, sagt Amy. Von Starbucks über ein Flughafenbistro bis hin zu Flaschenpost – überall, wo sie Probetage absolvierte, scheiterte das Jobangebot letztlich an fehlenden Papieren.
Ein Leben in der Warteschleife
Ihr Status als Drittstaatsangehörige hat Amy in eine quälende Dauerwarteschleife versetzt. Die Ausländerbehörde, die zu Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland für sie zuständig war, ließ sie 11 Monate ohne Termin warten – eine Zeit, die sie als besonders belastend empfand. „It makes me feel like a burden.“ Noch immer ist sie abhängig von der Unterstützung sozialer Einrichtungen wie dem Don-Bosco-Club, der Bahnhofsmission und dem Jugendmigrationsdienst Köln, eine Beratungsstelle der Katholischen Jugendagentur Köln (KJA Köln). „If these places didn’t exist, I don’t know if I’d even be alive right now.“
Auch die psychischen Belastungen sind enorm. „You want to go further with your life and you’re kind of just stuck because it’s someone else’s responsibility to make your life move forward,“ schildert sie. Diese Hilflosigkeit macht sie nicht nur traurig, sondern auch wütend. Trotz ihrer Bildung und ihrer Fähigkeiten – Amy hat in England ihr Abitur absolviert, ein Studium begonnen und eine Leidenschaft für Sprachen – fühlt sie sich wertlos. „It makes me feel small and not worth anything.“
Zwischen Perspektivlosigkeit und Dankbarkeit
Der Alltag im Don-Bosco-Club mit einer Notschlafstelle für junge Menschen bietet zumindest einen Hauch von Struktur. Morgens verlässt Amy die Unterkunft, verbringt Zeit in der Bibliothek oder bei der Beratung des Jugendmigrationsdienstes der KJA Köln.. Dort erhält sie Hilfe beim Sortieren ihrer Unterlagen und in der Kommunikation mit den Behörden. Abends kehrt sie zurück, in ein geteiltes Zimmer, das zumindest Sicherheit gibt. Sie ist dankbar für die Unterstützung, weiß aber auch: Ohne eine grundlegende Lösung bleibt ihr Leben in der Schwebe. Katharina Marcone vom Jugendmigrationsdienst der Katholischen Jugendagentur Köln bestätigt die Schwierigkeiten in der behördlichen Kommunikation. Im Fall von Amy seien wegen der zu erteilenden Arbeitserlaubnis gleich mehrere Ämter oder Abteilungen beteiligt. Vier bis sechs Wochen würde die Sache mit einer Arbeitserlaubnis üblicherweise dauern. Im Fall von Amy ist ein Vielfaches mehr an Zeit verstrichen. Katharina Marcone wird die Ausländerbehörde deswegen nochmal anschreiben. Sie berichtet aber auch von dem schmalen Grad, auf dem man sich bewege. Wie viel Druck man ausüben dürfe, ohne dass sich der Kommunikationskanal komplett verschließe, sei schon ein Thema für sie und ihr Kolleg*innen. Der Fachkräftemangel in den Behörden verstärke die Notsituation der jungen Menschen.
Amys Perspektive? Vage. Amy hofft, irgendwann wieder arbeiten zu können, Geld zu sparen und vielleicht doch noch ein Studium aufnehmen und abschließen zu können. Doch der Weg dorthin ist lang und von äußeren Faktoren abhängig, auf die sie kaum Einfluss hat. Sie bleibt optimistisch – doch die Frage bleibt: Wie lange noch? „It’s mentally difficult when you don’t know how to go forward with your situation and all the waiting time,“ sagt sie.
Amy ist nur eine von vielen, deren Schicksal an bürokratischen Prozessen hängt. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen zugewanderte Personen oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland stehen – und auf die menschlichen Kosten eines Systems, das sie oft hilflos zurücklässt.