Die Jugendsozialarbeit ist in ihrer fachlichen Arbeit in mehrfacher Weise mit Digitalisierungsprozessen konfrontiert. So prägt die Digitalität immer mehr auch den Alltag und die Lebens- und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen. Digitale Teilhabe entscheidet dort über zentrale Zugänge zum sozialen und alltäglichen Leben, über grundlegende soziale Chancen und Ressourcen. Zudem werden digitale Medien in immer mehr Handlungskontexten und ‑feldern für die Jugendarbeiter*innen relevant. Es wandeln sich die Erbringungsformen sowie die administrativen und organisationalen Prozesse in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit.
Spätestens in der COVID-19 Pandemie wurden auch in der Jugendsozialarbeit die Bedarfe in Bezug auf digitale Ausstattung und die konzeptionelle Berücksichtigung der Digitalität deutlich. Der Anspruch ist heute, digitale Medien auch als ergänzendes Informations- und Kommunikationsmittel, nachhaltig und effektiv in die Arbeit zu integrieren. Dazu fehlte es aber häufig noch an einer IT-Infrastruktur, an Endgeräten und vor allem auch dem notwendigen Wissen und Können sowohl bei Fachkräften als auch Jugendlichen.
Ausgehend von dem Ziel der Jugendsozialarbeit, jungen Menschen sozialpädagogische Hilfen anzubieten, die dem Ausgleich sozialer Benachteiligung oder der Überwindung individueller Beeinträchtigungen dienen, gilt es heute verstärkt zu berücksichtigen, dass soziale Benachteiligungen vermehrt auch dadurch entstehen, dass Menschen nicht nur nicht (digital) teilhaben, sondern sich damit auch die notwendigen Kompetenzen zur Teilhabe – Medienkompetenz – nicht aneignen können. Die Frage ist zudem, wie sich zukünftig die Jugendberufshilfe, die mobile und aufsuchende Jugendarbeit, die Jugendmigrationsdienste, das Jugendwohnen usw. aufstellen müssen, um junge Menschen im Rahmen der sich wandelnden Alltags- und Lebenswelten, angemessen begleiten und unterstützen zu können. Möchten sie junge Menschen weiterhin befähigen, sich in der Welt zurechtzufinden – einer Welt, die sich heute analog-digital darstellt, ist die Förderung von Medienkompetenz als notwendiges Wissen und Können im Umgang mit Medien und Medienbildung als grundlegendes Orientierungs- und Handlungswissen aus unserer Sicht unerlässlich.
Die Förderung von Medienkompetenz und die Ermöglichung von Medienbildung liefern eine wichtige Grundlage, um sich zurechtfinden und das eigene Leben und die analog-digitale Welt auch aktiv mitgestalten zu können. Dabei stellen die Informations- und Kommunikationstechnologien nicht nur junge Menschen vor neue Handlungs- und Entscheidungsprobleme, die von ihnen eine große Flexibilität verlangen. So gilt es gerade in gesellschaftlichen Umbruchsituationen, wie sie sich derzeit im Rahmen der Digitalisierung und Pandemie zeigen, neue Wege zu suchen, wie Orientierung und Sicherheit hergestellt werden kann. Ein souveräner Umgang mit Medien kann hier eine wichtige Bewältigungsstrategie darstellen. Aktuell erleben viele Menschen in der Jugendsozialarbeit, sowohl Fachkräfte wie Adressat*innen, die zunehmende Durchdringung der Alltags- und Lebenswelten mit digitalen Medien als eine solche Umbruchssituation.

Bestehende Handlungsroutinen und der eigene Wissensvorrat reichen jedoch oftmals nicht mehr aus, um die Herausforderungen zu bewältigen.
Hier kommt den Fachkräften eine zentrale Rolle zu. Sie sind aufgefordert, Zugang zu Medien zu eröffnen und damit eine analog-digitale Teilhabe zu ermöglich, sodass Kindern und Jugendlichen aus ihrer derzeitigen Lebenssituation keine erneuten Nachteile erwachsen. Sie können jungen Menschen dafür in den Feldern der Jugendsozialarbeit vielfältige, diverse Lernerfahrungen mit digitalen Medien ermöglichen und auch Möglichkeiten des Transfers der Erfahrungen auf andere Bereiche von Bildung und Teilhabe aufzeigen (wie z.B. Schule und Ausbildung). Zudem können sie junge Menschen in ihrer Selbstartikulation unterstützen und ihre analog-digitalen Ausdrucks- und Mitwirkungsmöglichkeiten stärken.
Deutlich wird aber auch, dass Fachkräften derzeit teils noch das Wissen und Können fehlt, um Jugendliche angemessen beim Aufbau der erforderlichen Medienkompetenz unterstützen zu können. Daher bedarf es einer gezielten Unterstützung medienpädagogischer Kompetenzen bei Fachkräften. Zu den medienbezogenen Kompetenzfeldern für Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit gehören insbesondere:
- Förderung der eigenen Medienkompetenz
- Wissen über digital geprägte Lebenswelten und ‑lagen von Kindern und Jugendlichen, über deren Bewältigungskonstellationen und ‑muster auch im Umgang mit digitalen Medien und die Identifizierung relevanter Themen bezogen auch auf Digitalisierungsanforderungen
- Orientierungswissen, um die sozialen, ethischen, rechtlichen, ökonomischen und insgesamt den Menschen betreffenden Aspekte des Medienhandelns aus der Perspektive der Jugendsozialarbeit einordnen zu können
- die Fähigkeit, Medienkompetenz gezielt zu fördern und mediale Bildungsräume zu gestalten, sowie Teilhabe- und Bildungspotentiale in analog-digitalen Welten auch über den Einsatz von digitalen Medien und Technologien fördern zu können
- geeignete Methoden, Medien und Technologien für das Handlungsfeld auszuwählen, neue Hilfepraktiken (z.B. Online-Beratung, virtuell-aufsuchende Jugendarbeit) entwickeln und evaluieren zu können, unter Berücksichtigung auch des Datenschutzes
- einen organisationalen Rahmen zur Ermöglichung von Medienbildung in der sozialarbeiterischen Praxis zu schaffen. Dazu gehört auch, medienpädagogische Konzepte für die eigene Einrichtung entwickeln zu können, die den verschiedenen digitalen Entwicklungen – von der Anschaffung von Hard- und Software, über die Kommunikation mit den Jugendlichen bis zur Vermittlung von Medienkompetenz — eine Zielrichtung geben.
Gegenwärtig bestehen noch zahlreiche offene Fragen dahingehend, inwieweit sich Digitalisierung und Mediatisierungsprozesse (Krotz 2001) in die bisherigen Logiken des Handlungsfeldes der Jugendsozialarbeit einordnen lassen, inwiefern das Methodenrepertoire im Zuge dessen erweitert werden muss oder ob mit der Digitalisierung Veränderungen auch auf gesellschaftlicher, politischer und kultureller Ebene einhergehen, die von der Jugendsozialarbeit eine erweiterte Handlungskompetenz und somit eine Haltung, neue Ideen, Ansätze und theoretische Konzepte, etwa zur Förderung analog-digitaler Medienbildung erfordern.
Diese offenen Fragen gehen wir vom Institut für Medienforschung und Medienpädagogik an der Technischen Hochschule Köln seit 2020 in einer fruchtbaren Kooperation mit dem Kolpingwerk Deutschland und der IN VIA Akademie an. Im engen Austausch mit Studierenden und Einrichtungen der Jugendsozialarbeit werden Ideen, Tools und Konzepte entwickelt, die ein systematisch geplantes und wissenschaftlich reflektiertes methodisches Handeln mit digitalen Medien im Bereich der Jugendsozialarbeit unterstützen. Die Tools und Konzepte liefern Einrichtungen und Fachkräften eine hilfreiche Anregung, um die Jugendsozialarbeit zukünftig digitaler aufzustellen. Ein längerfristiges Ziel ist es, anknüpfend an die Erfahrungen in der Praxis und in zunehmendem Maße auch modellhaft Wege für eine zukunftsoffene und zukunftsorientierte Jugendsozialarbeit und außerschulische Bildungsarbeit in einer Kultur der Digitalität zu entwickeln.
Literatur
Krotz, Friedrich (2001): Die Mediatisierung kommunikativen Handelns. Wiesbaden: Springer VS.
Siller, Friederike /Tillmann, Angela /Zorn, Isabel (2020): Medienkompetenz und medienpädagogische
Kompetenz in der Sozialen Arbeit. In: Kutscher, N., Ley, T., Seelmeyer, U., Siller, F., Tillmann, A. & Zorn,I.
(Hrsg.): Handbuch Digitalisierung und Soziale Arbeit. Weinheim: Beltz. S. 315–333.