Ein Fallbeispiel
Soziale Teilhabe ist auch digitale Teilhabe. Die Corona-Pandemie führte dazu, dass Beratung, Unterstützung und Unterricht größtenteils digital stattfanden. Daran konnten nicht alle jungen Menschen gleichermaßen partizipieren. Auch wenn in der aktuellen Corona-Welle die Schulen weitestgehend offengehalten werden, wirken die Probleme der Lockdowns aus 2020 und 2021 noch nach. Insbesondere die ungleiche digitale Ausstattung und unzureichende finanzielle Absicherung führen zu negativen Langzeitwirkungen. Die Leiterin des Kolping Jugendwohnen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg., Leonie Jacobi, sprach darüber mit den „Jugendsozialarbeit News“.
Im Kolping Jugendwohnheim im Prenzlauer Berg wohnen junge Menschen dauerhaft, während sie ihre berufliche Ausbildung absolvieren. Die meisten von ihnen haben kein anderes Zuhause, auf das sie zu Pandemiezeiten ausweichen könnten. Unter den Bewohner*innen sind überwiegend junge Geflüchtete. Viele Bewohner*innen haben aufgrund von Corona schlechtere Berufsabschlüsse erzielt oder ihre Prüfungen nicht bestanden. Die Berufsschulen hatten ihren Unterricht zu Lockdownzeiten und Bundesnotbremse in den digitalen Raum verlagert. Eine Teilnahme am Homeschooling nur mit einem Smartphone und einer Prepaidkarte funktioniert nur sehr schlecht oder aber gar nicht.
Mangelnde technische Ausstattung gefährdet Bildungsabschlüsse
Mit dem oftmals geringen Ausbildungsentgelt können sich die jungen Menschen im Jugendwohnen keine großartige technische Ausstattung leisten. Nur wenige Einzelne, die aus besser situierten Elternhäusern stammen, verfügen über ein Smartphone mit Vertrag und großem Datenvolumen sowie einen Laptop oder Drucker. Dreiviertel der Jugendlichen im Kolping Jugendwohnheim haben lediglich ein Handy mit Prepaidkarte und geringem Datenvolumen. Mehr konnten und können sie sich nicht leisten. Die, die weniger Geld haben, haben zwar alle ein Handy, aber keinen PC. Lernen und Arbeiten über das Handy ist kaum möglich. Das gefährdete die Bildungsabschlüsse.
Die Berufsschulen hatten ihren Unterricht und die Prüfungsvorbereitung auf digitale Angebote umgestellt. Ob und wie es den Jugendlichen möglich ist, daran teilzuhaben, wurde nicht abgefragt. Die Jugendlichen wurden seitens der Berufsschulen allein gelassen. Gleichzeitig waren öffentliche Bibliotheken und Internetcafés geschlossen. Es stand keine Möglichkeit zur Verfügung technische Ausstattung zu nutzen, aber genau diese braucht man, um am Unterricht teilnehmen zu können. Für betroffene junge Menschen war das ein Teufelskreis.
Abhängig von der Branche konnten einige Auszubildende auch ins „Homeoffice“ wechseln. Aber das war natürlich auch nur für diejenigen sinnvoll, die über das Equipment verfügen. Es hat sich quasi eine Zwei-Klassen-Gesellschaft etabliert, die sich am Zugang zu digitaler Ausstattung und finanziellen Ressourcen scheidet.
Der digitale Staat? In Berlin war man davon weit entfernt
Die Fachkräfte im Jugendwohnen unterstützten die jungen Menschen, so gut es ging. Doch der ausbleibende digitale Fortschritt bei den Behörden, erschwerte es den Unterstützer*innen. Auch wenn es jetzt wie eine schlechte Comedy klingen mag, war das weder für die jugendlichen Bewohner*innen noch die Mitarbeiter*innen des Jugendwohnheims eine lustige Angelegenheit.
Zusammen mit den Azubis (denen es an digitalen Endgeräten außer einem Prepaid-Handy mangelt) wurden schriftliche Anträge auf Endgerät verfasst. In Begründungen sorgfältig argumentiert, dass der Ausbildungserfolg, insbesondere für die jungen Geflüchteten, gefährdet sei. Die Schreiben wurden an die Ämter per Post verschickt. E‑Mails akzeptierten die Behörden aus Datenschutzgründen nicht. Ein Faxgerät hatte die Einrichtung schon lange nicht mehr im Betrieb. Bis die Anträge im Amt die zuständigen Sachbearbeiter*innen erreichten vergingen manchmal mehrere Wochen. Viele von ihnen waren im Homeoffice und nur sporadisch im Büro. Es dauerte mitunter Wochen bis Monate, bis die Korrespondenz hin und her funktioniert hat und am Ende eine Ablehnung ausgesprochen wurde.
Schließlich konnte man sich mit den Behörden darauf einigen: Kann der Jugendliche eine schriftliche Bestätigung vorlegen, dass von Seiten der Schule keine Endgeräte zur Verfügung gestellt werden, werden Endgeräte wie Tablets oder Laptops gefördert.
Ein Digitalpakt für die Jugendsozialarbeit
Auch in vielen anderen Bereichen der Jugendsozialarbeit, nicht nur dem Jugendwohnen, schränkt der Mangel an technischer Ausstattung, die unzureichende Digitalisierung oder die nicht ausreichenden Kompetenzen in der Nutzung digitaler Services junge Menschen in ihren Entwicklungschancen ein. Von Unterstützung wie dem „Digitalpakt Schule“ profitiert die Jugendsozialarbeit nicht. Damit digitale Teilhabe gelingt, fordert der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit einen nachhaltigen Digitalpakt zur umfassenden Förderung von digitalen Kompetenzen aller jungen Menschen, insbesondere derer, die benachteiligt sind. Die BAG KJS ist Mitglied im Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit und unterstützt die Forderung nach einem Digitalpakt Jugendsozialarbeit ausdrücklich. In einem Positionspapier formuliert sie Details.
Das Interview mit Leonie Jacobi führte Silke Starke-Uekermann. Für den Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag wurde auch ein Podcast produziert.