Das Projekt FAQ.dig.edu
Im Rahmen des Projekts FAQ.dig. edu begleitet die BAG KJS die digitale Transformation in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit. Dazu haben wir ermittelt, welche Kompetenzanforderungen an Fachkräfte gestellt werden und welche Faktoren ein digitales Arbeiten begünstigen und die Weiterentwicklung digitaler Angebote in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit befördern. Im bundesweiten Netzwerk der BAG KJS wurden zunächst qualitative Interviews mit Trägern und Fachkräften geführt. Dabei zeigte sich, dass vor allem im Handlungsfeld der Jugendberufshilfe digitale Anwendungen erprobt werden und zum Einsatz kommen. So ermöglichen z. B. „Augmented-Reality-Brillen“ Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten einen Einblick in verschiedene Berufsfelder, Lerninhalte werden spielerisch über „Serious Games“ vermittelt.

Um Ergebnisse der Interviews in einem größeren und anonymen Rahmen zu verifizieren, wurde in Kooperation mit dem Projekt Di.Ko. (IN VIA Deutschland) eine Online-Umfrage zu Digitalisierung in der Jugendberufshilfe durchgeführt. Die Erhebung sollte Aufschlüsse über den Stand der Digitalisierung in Einrichtungen der Jugendberufshilfe liefern. An der Umfrage beteiligten sich 101 Fachkräfte, welche über E‑Mail-Verteiler der Verbände, soziale Medien und den Blog jugendsozialarbeit.news angesprochen wurden. Um die Anonymität zu gewährleisten, wurde auf spezifische Fragen zum Hintergrund, wie z. B. der Trägerorganisation, verzichtet.
Als Gelingensfaktoren und Handlungsideen konnten wir identifizierten:
Die Haltung
Neue Formate auszuprobieren und sich neue Kompetenzen anzueignen, gelingt nur mit einer grundsätzlich offenen, neugierigen und mutigen Haltung der Einrichtungsleitungen und Fachkräfte. Das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist ebenso unverzichtbar wie die Bereitschaft, Fehler zu machen oder Rückschläge einzustecken, will man digitale Endgeräte sowie Tools und Kanäle in der Jugendsozialarbeit nutzen. Die Haltung ist nichts Festes und Fertiges, sondern entwickelt sich dynamisch mit den gemachten Erfahrungen. Digitalisierung ist bei vielen Fachkräften mit Unsicherheit und Scham verbunden. Mitarbeiter*innen brauchen den Rückhalt der Leitungskräfte, einfach mal etwas ausprobieren zu dürfen. Überwinden Mitarbeiter*innen in kleinen Schritten Berührungsängste, öffnen sie sich der Digitalisierung ihrer Arbeit zunehmend. Eine gelebte Fehlerkultur, zu der Ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen gehören, ist dabei unerlässlich. Es gibt es kein Universalrezept, sich diese Haltung anzueignen. Der Weg dorthin hängt sowohl von der einzelnen Person als auch dem Arbeitsfeld ab.
Kompetenzen stärken
Die Kompetenz, sich immer wieder neues Wissen anzueignen spielt in der Dynamik der digitalen Transformation eine tragende Rolle. Das Wissen, mit einer einzelnen Anwendung umzugehen, kann schnell veralten. Dabei scheint die Wissensaneignung im Bereich digitaler Technologien vor allem informell, also durch Ausprobieren, Austausch mit Kolleg*innen und Familie oder über YouTube-Tutorials abzulaufen und weniger über Schulungen und Fortbildungen. Genauso wie für Schulungen müssen auch für informelle Lernprozesse Zeit, Wertschätzung und technische Ausstattung bereitgestellt werden. Dabei sollte eine generelle Affinität zu lernen gefördert werden. Um die Mitarbeitenden in den Entscheidungsprozess mitzunehmen und individuelle Lösungen zu finden, ist eine gemeinsame Diskussion über die verschiedenen Lernformate unerlässlich. Um das Voranbringen der Digitalisierungsbestreben nicht einzelnen Personen aufzubürden, kann es außerdem hilfreich sein, Weiterbildungsangebote für ganze Teams zu konzipieren.
Multiplikator*innen innerhalb der Einrichtung gewinnen
Um Wissensaustausch zu digitalen Anwendungen und Prozessen zu ermöglichen, bedarf es Multiplikator*innen an verschiedenen Stellen innerhalb der Einrichtung. Eine Möglichkeit besteht darin, medienaffinen Mitarbeiter*innen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um als Ansprechperson für Kolleg*innen zu fungieren. In seinem Artikel schlägt Pelka (2020) verschiedene Ansätze vor, um Digitalisierungsstrategien in das Sozial- und Wohlfahrtwesen einzubinden. Um allen Teammitgliedern eine aktive Such- und Reflexionsrolle zu ermöglichen, plädiert Pelka für die Einführung von „Digitalisierungsvorträgen“. Hierbei hält jeweils ein Teammitglied in regelmäßigem Turnus ein kleines Referat zu einer Technologie oder einem Tool. Dabei geht es weniger darum, das Tool zu beherrschen, sondern um den Einstieg in die Debatte zu erreichen, ob das Tool hilfreich für Klient*innen sein könnte.
Expertise der Jugendlichen mit einbeziehen

Kinder- und Jugendliche sind die Personengruppe mit der höchsten Nutzung des Internets. Um digitale Medien kompetent zu nutzen sind Begleitung und Unterstützung unerlässlich. Junge Menschen in Digitalisierungsprozesse einzubeziehen und Angebote an ihren Interessen auszurichten kann ein Gewinn für alle Beteiligten sein. Die Jugendlichen lassen sich besser zur Teilnahme an Angeboten motivieren, wenn diese an ihren Interessen und ihrer Lebensrealität ausgerichtet sind. Außerdem stärkt es ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstwirksamkeitserfahrung, wenn ihr Wissen und ihre Expertise herangezogen werden. Die Fachkräfte lernen hier gemeinsam mit den Jugendlichen. Dazu ist eine Veränderung des eigenen Rollenverständnisses nötig – die Rolle der Lehrkraft, die Frontalunterricht macht, ändert sich hin zur Mentorin oder zum Mentor bzw. zur Lernbegleitung. Diese Umstellung bedarf Offenheit und Mut sowie genügend zeitliche Ressourcen auf Seite der Fachkräfte.
Neue Lehrformate nutzen
Auch die Art zu lernen verändert sich in der digitalen Welt. Für ein zeitgemäßes, zielgruppenzentriertes Arbeiten lohnt es sich, neue Formate auszuprobieren. So können mit „Serious Games“ konkrete Lerninhalte spielerisch vermitteln werden, wobei es gleichzeitig durch die Interaktion der Lernenden zur Schulung von Kommunikations-und Teamkompetenzen kommt. Allerdings sind diese speziell an die zu vermittelnden Lerninhalte konzipierten Spiele sehr zeitaufwändig und kostspielig. Eine ressourcensparende Möglichkeit besteht in der Nutzung kommerzieller Unterhaltungsspiele. Hierzu hat die Stiftung Digitale Spielekultur eine für Eltern, Lehrkräfte und Pädagog*innen kuratierte Auswahl für das Lernen mit Spielen zusammengestellt.
Kooperationen mit externen Einrichtungen nutzen
Kooperationen mit externen Einrichtungen ermöglichen einen niedrigschwelligen Einbezug verschiedener externer Expertisen und Blickwinkel. Pelka (2020) schlägt hierzu vor, mit Hochschulen zusammenzuarbeiten. Dabei können Wohlfahrtseinrichtungen als Einsatzort studentischer Lehrprojekte fungieren und Studierende z. B. anhand von Abschlussarbeiten einen Lösungsansatz für vorgefundene Probleme aufzeigen. Neben eingangs beschriebener Kooperation mit der Technischen Hochschule Köln verfolgt z. B. auch die Universität Duisburg-Essen einen “Service Learning” Ansatz, bei dem Studierenden durch praktische Arbeit in der Zivilgesellschaft ihr akademisches Wissen anwenden und erweitern. Im UNIAKTIV Zentrum für gesellschaftliches Lernen und soziale Verantwortung wird dieser Ansatz seit 15 Jahren angewandt.
Literatur
Pelka, B. (2020): Digitalisierung als soziale Innovation verstehen und umsetzen. In: Ückert, S., Sürgit, H. & Diesel, G. (Hrsg.) Digitalisierung als Erfolgsfaktor für das Sozial- und Wohlfahrtswesen. Nomos: 263–278.